Rund 450 Gäste nahmen an der Einweihung vor dem RP-Hauptgebäude am Steinweg teil, darunter Mitglieder der Opferfamilien sowie Hessens Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels, Kassels Oberbürgermeister Dr. Sven Schoeller und Regierungspräsident Mark Weinmeister.
Das Kunstwerk der international renommierten Künstlerin Natascha Sadr Haghighian erinnert an zwei schreckliche Morde in Kassel und der Region und stellt ein weithin leuchtendes Bekenntnis zur Demokratie, einer offenen Gesellschaft und dem Kampf gegen Rassismus und Menschenhass dar: 86° WALTER HALİT ist ein zweischenkliges Lichtobjekt. In großen Lettern sind die Namen Walter und Halit zu lesen. Die beiden Namen weisen in verschiedene Himmelsrichtungen und treffen sich in einem Winkel von 86 Grad. Das Objekt scheint wie eine zusätzliche Ecke über den nordwestlichen Rand des Daches hinauszuragen. Hinter den Namen verlaufen Spektralfarben von Gelb-Orange zu Magenta-Violett. Die Namen WALTER und HALİT sind in dem Schriftfont MARTIN gesetzt, benannt nach dem Schwarzen US-Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. Der Font beruht auf Posterkampagnen der Bürgerrechtsbewegung und steht für eine Kontinuität von antirassistischen Kämpfen. Der Name Walter schaut in Richtung Wolfhagen-Istha, wo Dr. Walter Lübcke wohnte und wo er 2019 ermordet wurde. Der Name Halit schaut in Richtung Holländische Straße, wo Halit Yozgat lebte und wo er 2006 ermordet wurde. Die beiden schauen also sozusagen nach Hause.
Das Hessische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Kultur hat das Kunstprojekt finanziell gefördert. Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels: „Das Kunstwerk von Natascha Sadr Haghighian ist ein sichtbares Zeichen gegen das Vergessen zweier rechtsextremistisch motivierter Morde, die niemals vergessen werden dürfen. Das Kunstwerk macht deutlich, wie gefährlich und zerstörerisch Fremdenhass ist – und wie dringend notwendig es ist, mutig dagegen vorzugehen. Aufklärung und Erinnerungsarbeit helfen gegen das Vergessen. Dies leistet der Online-Vermittlungsteil des Projekts. Hier werden die Hintergründe zum Kunstwerk anschaulich erläutert.“
Auch die Stadt Kassel hat den Prozess der Entstehung des Kunstwerks für ihren Mitbürger Halit Yozgat und für Walter Lübcke, dessen Arbeitsplatz im Herzen der Stadt war, eng begleitet und sich für die Realisierung eingesetzt. Oberbürgermeister Dr. Sven Schoeller: „Dieses Kunstwerk setzt ein sichtbares Zeichen des Erinnerns und der Verantwortung. Halit Yozgat und Walter Lübcke wurden Opfer rechten Terrors – hier in Kassel und der Region, in unserer Mitte. Ihr Tod mahnt uns, niemals wegzusehen, wenn Menschen ausgegrenzt, bedroht oder angefeindet werden. Unsere Stadt steht für Vielfalt, Respekt und Zusammenhalt. Das Werk 86° WALTER HALIT erinnert unsere Stadt, zu jeder Zeit für Toleranz der Vielfalt, Respekt und Zusammenhalt einzutreten.“
Regierungspräsident Mark Weinmeister fand als Amtsnachfolger und enger Freund Walter Lübckes persönliche Worte anlässlich der Einweihung des Kunstwerks: „Das Kunstwerk erinnert auf eindrückliche Weise an Halit Yozgat, an Walter Lübcke und an ihr tragisches Vermächtnis. Walter Lübcke war ein Mann mit klarem moralischen Kompass – und wie eine Kompassnadel weist das Kunstwerk über unser Gebäude, seinen damaligen Amtssitz, hinaus in die Stadt und die Region: Rechter Terror fand unter uns statt, mitten in unserer Gesellschaft, die Opfer – Halit Yozgat und Walter Lübcke – kamen aus unserer Mitte. Ihre Namen gemahnen weithin sichtbar daran, dass wir alle es sind, die sich Hass und menschenfeindlicher Gewalt entgegenstellen müssen. Wir werden ihre Namen nie vergessen und ihr Vermächtnis forttragen.“
Künstlerische Beiträge zur Einweihungsfeier kamen von Schülerinnen und Schülern der Walter-Lübcke-Schule Wolfhagen, dem Mitarbeitenden-Chor des Regierungspräsidiums und von der Musikgruppe NAWA.
Projektpartner bei der Realisierung des Kunstwerks sind neben dem Regierungspräsidium und Natascha Sadr Haghighian der Verein Bewegungsperspektiven für Licht, Kunst und Kultur e.V. Kassel mit dem 1. Vorsitzenden Günter Schleiff (zugleich Architekt des Kunstwerks) und die Bürgerstiftung für die Stadt Kassel und den Landkreis Kassel mit ihrem Vorstandsvorsitzenden Ingo Buchholz. Die Gesamtkosten von rund 250.000 Euro für das Kunstwerk wurden durch Spenden von Stiftungen, öffentlichen Institutionen, Unternehmen und Privatleuten eingeworben, darunter auch zahlreiche Mitarbeitende des Regierungspräsidiums.
Stele und Vermittlungsteil
Das Lichtobjekt auf dem Dach wird ergänzt durch eine Metallstele auf der Rasenfläche vor dem RP-Gebäude. Diese nimmt die Farb- und Formensprache des Kunstwerkes auf. Vorbeikommende Passantinnen und Passanten gelangen über einen eingefrästen QR-Code zu einem Online-Vermittlungsteil, der die Hintergründe des Kunstwerks erläutert und weitere Denkanstöße zur Verfügung stellt: Eine zweiteilige Audio-Erzählung zu 86° WALTER HALİT kann beispielsweise bei einem Spaziergang um das Regierungspräsidium oder auch zu Hause angehört werden. Neben der Audio-Erzählung veranschaulicht eine interaktive Landschaft, dass die Morde an Walter und Halit nicht isoliert zu betrachten sind, sondern Teil sind von größeren Sinnzusammenhängen, voll mit anderen Namen, Initiativen und Verbindungslinien. Durchzogen von Gewalt, aber auch von Widerstand, Trauer, Wut und der Entschlossenheit, der Gewalt etwas entgegenzusetzen.
Die Website mit dem Vermittlungsteil wurde durch Förderung der Stadt Kassel und des Landes Hessen ermöglicht. Sie ist auch auf der folgenden Themenseite verlinkt: „86° WALTER HALİT“ | rp-kassel.hessen.de
Projekt seit 2019 vorangetrieben
Mit der feierlichen Einweihung des Kunstwerks kommen langjährige Aktivitäten des Regierungspräsidiums zum Andenken an Herrn Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke zu einem erfolgreichen Abschluss. Einer Idee aus dem Kreise der Mitarbeitenden des Regierungspräsidiums folgend, hatte eine Kommission nach der Ermordung Walter Lübckes 2019 einen beschränkten Kunstwettbewerb initiiert. Gesucht wurde ein Kunstwerk, das offensiv die Ermutigung und Forderung formulieren soll, für Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine offene Gesellschaft einzustehen. Mit Unterstützung und Beratung des langjährigen Dozenten der Kasseler Kunsthochschule und ehemaligen Vorsitzenden des Kasseler Kunstvereins, Bernhard Balkenhol, hatte sich die Arbeitsgruppe anschließend auf die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs geeinigt, in dem das künstlerische Medium bewusst offengelassen wurde.
Eine Kommission unter Beteiligung von Regierungspräsidium, Fachleuten aus dem Kunstbereich sowie Vertreterinnen und Vertretern der Stadtgesellschaft hat danach Vorschläge gesammelt, welche Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Ausschreibung beteiligt werden sollten. Hierbei gab es eine Vielzahl von nationalen und internationalen Vorschlägen, wobei sich die Kommission einhellig auf sechs Künstlerinnen und Künstler geeinigt hat. Davon haben letztendlich fünf Künstlerinnen und Künstler Entwürfe eingereicht.
Die Finanzierung der Ausschreibung und der Kosten für die Erstellung der Entwürfe erfolgte durch die Einnahmen aus dem Verkauf der Briefmarke Individuell, die das RP Kassel gemeinsam mit der Deutschen Post 2020 zum ersten Jahrestag des Todes von Dr. Lübcke herausgegeben hat. Die Teilnehmenden haben für ihre Entwürfe ein Honorar erhalten sowie Auslagen z.B. für Material erstattet bekommen.
Die vorliegenden Entwürfe wurden im November 2021 öffentlich in Kassel präsentiert, zunächst im Kasseler Kunstverein und anschließend im Regierungspräsidium. Nach eingehender Begutachtung und Diskussion der Entwürfe kam eine hochkarätig besetzte Fachjury im Spätherbst 2021 zu dem Entschluss, Frau Natascha Sadr Haghighian den Sieg zuzusprechen und ihren Entwurf dem Regierungspräsidium Kassel zur Realisierung vorzuschlagen.
Die Arbeit 86° WALTER HALİT sticht laut Juryvotum durch den „starken Signalcharakter des Entwurfs, der sowohl bei Tag als auch bei Nacht weithin sichtbar ist,“ hervor. Daneben überzeugte „die konzeptionelle Schärfe, die durchdachte, humane und zukunftsweisende Kraft des Vorschlags“ die Jury. „Die Verbindung der auf die Vornamen reduzierten Nennungen schlägt eine Brücke der Solidarität zwischen den beiden unterschiedlichen Opfern des rechten Terrors in Kassel.“ Zugleich werde ein wirksames Zeichen gegen das Vergessen und für das aktive Eintreten für unsere demokratischen Werte in Deutschland und Europa formuliert, heißt es weiter in der Begründung der Jury. „Als ,Leuchtturm‘ auf dem Dach des Regierungspräsidiums erinnert Sadr Haghighians Vision für das Kunstwerk einmal mehr daran, dass es die Menschen sind, die eine starke Demokratie aufbauen.“
Dank für Spenden und Unterstützung
Das Regierungspräsidium Kassel dankt im Namen des Landes Hessen für die großzügigen Spenden und Unterstützungen folgender Organisationen, Stiftungen, Privatpersonen und Institutionen (jeweils mit datenschutzrechtlicher Einwilligung):
- Verein Bewegungsperspektiven für Licht, Kunst und Kultur e.V.
- Künstlerin Natascha Sadr Haghighian mitsamt Redaktionsteam
- Mitarbeitende des Regierungspräsidiums Kassel
- Wintershall Dea Stiftung für Demokratie und Vielfalt
- Offen für Vielfalt – Geschlossen gegen Ausgrenzung e.V.
- Stiftung Hübner und Kennedy gemeinnützige GmbH
- Karin und Uwe Hollweg Stiftung
- SV SparkassenVersicherung Holding AG
- EAM GmbH & Co. KG
- EDEKA Aschoff
- Hermann-Josef Klüber
- Rechtsanwalt Bernhard Striegel
- Dr. Wilhelm Paul Ludwig Hermann Bing
- cdw Stiftung gGmbH
- Dr. Jörg Kullmann
- Evangelische Bank eG
- Fehr Holding GmbH
- sera GmbH
- Volksbank Kassel Göttingen-Stiftung
- Volkswagen AG
- K + S Aktiengesellschaft
- Stiftung „Zukunft stiften“ der Kreissparkasse Schwalm-Eder
- Verein zur Förderung von Kultur- und Kommunikationsprojekten
- Sparkassen Kulturstiftung Hessen-Thüringen