Einer Idee aus dem Kreise der Mitarbeitenden des Regierungspräsidiums folgend, hatte eine Kommission nach der Ermordung Walter Lübckes einen beschränkten Kunstwettbewerb initiiert. Sechs Künstlerinnen und Künstler wurden aufgefordert, Entwürfe einzureichen für ein Kunstwerk, das offensiv die Ermutigung und Forderung formulieren soll, für Werte wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und eine offene Gesellschaft einzustehen. Nach eingehender Begutachtung und Diskussion der Entwürfe kam die hochkarätig besetzte Fachjury im Spätherbst 2021 zu dem Entschluss, Frau Natascha Sadr Haghighian den Sieg zuzusprechen und ihren Entwurf dem Regierungspräsidium Kassel zur Realisierung vorzuschlagen.
Nachdem nun die technischen Details geklärt sind und das Einverständnis des Gebäudeeigentümers erfolgt ist, soll mit der Umsetzung begonnen werden. Wie angekündigt, soll das Kunstwerk über Spenden finanziert werden. Unterstützung erhält das RP Kassel dabei von der Bürgerstiftung für die Stadt und den Landkreis Kassel und vom Kasseler Kunstverein. Insgesamt werden etwa 140.000 Euro veranschlagt. Sollte mehr Geld zusammenkommen als für das Kunstwerk benötigt, wird dieses hälftig an die Initiative „Offen für Vielfalt“, bei der das RP Kassel Kooperationspartner ist, und das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus und Rassismus – für demokratische Kultur in Hessen e.V.“, das den Walter-Lübcke-Demokratie-Preis 2020 erhalten hat, gehen.
„Nach einem intensiven Prozess zur Auswahl des Kunstwerkes kann es nun endlich an die Realisierung gehen. Da es weithin in der Stadt sichtbar sein wird, freuen wir uns, wenn sich möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Regierungspräsidiums und Bürgerinnen und Bürger hieran beteiligen. Mit dem Kunstwerk wollen wir ein Zeichen für Demokratie und eine offene Gesellschaft setzen“, so der Kasseler Regierungspräsident Mark Weinmeister. Auch einige Kasseler Unternehmen haben bereits ihre Unterstützung zugesagt.
Spenden können auf folgendes Konto eingezahlt werden:
Bürgerstiftung für die Stadt Kassel und den Landkreis Kassel
IBAN: DE94 5205 0353 0001 3141 51
BIC: HELADEF1KAS
Verwendungszweck: Spende Kunstwerk
Für Spenden bis 300 Euro genügt der Kontoauszug als Nachweis gegenüber dem Finanzamt. Bei größeren Spenden geben Sie bitte im Verwendungszweck Ihre Anschrift an, dann erhalten Sie eine Spendenbescheinigung.
Hintergrund:
Leuchtkästen auf dem RP-Dach
Natascha Sadr Haghighian entwirft in ihrem Beitrag zwei jeweils 5 Meter lange und 2,5 Meter hohe, mit einem textilen Gewebe bespannte und in Spektralfarben schillernde Leuchtkästen, die die Namen „HALİT“ und „WALTER“ tragen. Diese sollen auf dem Dach des Regierungspräsidiums in einem 86-Grad-Winkel so positioniert werden, dass die Schenkel des Winkels jeweils auf die Orte zeigen, an denen Halit Yozgat (1985-2006), ein in Kassel geborener, türkischstämmiger Betreiber eines Internetcafés, und Regierungspräsident Walter Lübcke (1953-2019), der sich als Demokrat für Geflüchtete und Migration einsetzte, von Rechtsradikalen ermordet wurden. Die Schriftart „Martin“, die Sadr Haghighian für „HALİT“ und „WALTER“ verwendet, ist benannt nach Martin Luther King Jr. und inspiriert von den Posterkampagnen des Streiks der Stadtreinigung von Memphis aus dem Jahr 1968, und stellt einen wichtigen Bezug zur Geschichte der gewaltfreien antirassistischen Kämpfe in der Welt her.
Konzeptionelle Schärfe und humane Kraft
Sadr Haghighians Arbeit sticht laut Juryvotum durch den „starken Signalcharakter des Entwurfs, der sowohl bei Tag als auch bei Nacht weithin sichtbar ist,“ hervor. Daneben überzeugte „die konzeptionelle Schärfe, die durchdachte, humane und zukunftsweisende Kraft des Vorschlags“ die Jury. „Die Verbindung der auf die Vornamen reduzierten Nennungen schlägt eine Brücke der Solidarität zwischen den beiden unterschiedlichen Opfern des rechten Terrors in Kassel.“ Zugleich werde ein wirksames Zeichen gegen das Vergessen und für das aktive Eintreten für unsere demokratischen Werte in Deutschland und Europa formuliert, heißt es weiter in der Begründung der Jury. „Als ,Leuchtturm‘ auf dem Dach des Regierungspräsidiums erinnert Sadr Haghighians Vision für das Kunstwerk einmal mehr daran, dass es die Menschen sind, die eine starke Demokratie aufbauen. Mit einem QR-Code vor dem Gebäude, der die Hintergründe des Kunstwerks auf zugängliche Weise erklärt, erweitert 86° (WALTER HALİT) die Sachlichkeit und Funktionalität des in den späten 1950er Jahren errichteten Gebäudes um eine sowohl emotionale wie zeitgenössische Komponente.“
Die Künstlerin
Im Rahmen ihrer künstlerischen Tätigkeit veröffentlicht Natascha Sadr Haghighian keine biografischen Informationen zu ihrer Person.
Der Wettbewerb
Eine Arbeitsgruppe aus dem Kreis der RP-Mitarbeitenden hatte 2019 die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs vorgeschlagen. Mit Unterstützung und Beratung des langjährigen Dozenten der Kasseler Kunsthochschule und ehemaligen Vorsitzenden des Kasseler Kunstvereins, Bernhard Balkenhol, hatte sich die Arbeitsgruppe anschließend auf die Ausschreibung eines Kunstwettbewerbs geeinigt, in dem das künstlerische Medium bewusst offengelassen wurde.
Eine Kommission unter Beteiligung von Regierungspräsidium, Fachleuten aus dem Kunstbereich sowie Vertreterinnen und Vertretern der Stadtgesellschaft hat danach Vorschläge gesammelt, welche Künstlerinnen und Künstler im Rahmen der Ausschreibung beteiligt werden sollten. Hierbei gab es eine Vielzahl von nationalen und internationalen Vorschlägen, wobei sich die Kommission einhellig auf sechs Künstlerinnen und Künstler geeinigt hat. Davon haben letztendlich fünf Künstlerinnen und Künstler Entwürfe eingereicht. Die Finanzierung der Ausschreibung und der Kosten für die Erstellung der Entwürfe erfolgte durch die Einnahmen aus dem Verkauf der Briefmarke Individuell, die das RP Kassel gemeinsam mit der Deutschen Post 2020 zum ersten Jahrestag des Todes von Dr. Lübcke herausgegeben hat. Die Teilnehmenden haben für ihre Entwürfe ein Honorar erhalten sowie Auslagen z.B. für Material erstattet bekommen.
Die vorliegenden Entwürfe wurden im November 2021 öffentlich in Kassel präsentiert, zunächst im Kasseler Kunstverein und anschließend im Regierungspräsidium.
Die Jury
Parallel zur Öffentlichkeit hat eine Fachjury die Entwürfe begutachtet und anschließend in Präsenz in Kassel getagt. Die Jury setzte sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern des Regierungspräsidiums, der Kasseler Stadtgesellschaft sowie renommierten Fachpersonen aus Kunstwissenschaft und Kunstbetrieb:
Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn, Honorarprofessor an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, Kurator, Publizist
Ingo Buchholz, Vorsitzender des Vorstandes der Bürgerstiftung für die Stadt und den Landkreis Kassel
Gürsoy Doğtaş, Kunsthistoriker am Institut für Kunst und Gesellschaft der Universität für angewandte Kunst Wien, Kurator, Publizist
Övül Ö. Durmusoğlu, Gastprofessorin an der Graduiertenschule der Universität der Künste Berlin, Kuratorin, Autorin
Reiner Finkeldey, Präsident a.D. der Universität Kassel
Winfried Hausmann, Abteilungsleiter a.D. des Regierungspräsidiums Kassel
Hermann-Josef Klüber, Kasseler Regierungspräsident a.D.
Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, künstlerischer Leiter des Kunstraums SAVVY Contemporary, zum 01.01.2023 berufener Intendant am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, Kurator, Kunstkritiker, Autor, Biotechnologe
Christof Nolda, Stadtbaurat der Stadt Kassel
Angelika Nollert, Direktorin der Neuen Sammlung – The Design Museum München, Honorarprofessorin an der Akademie der Bildenden Künste München, Kunsthistorikerin
Susanne Völker, Kulturdezernentin der Stadt Kassel
Karl Waldeck, Direktor der Evangelischen Akademie Hofgeismar
Haegue Yang, Installationskünstlerin, Professorin für Bildende Kunst an der Städelschule