Wiederholt wurde die Forderung laut, die Bejagung des Damwilds auszusetzen, damit sich dieses dauerhaft im Reinhardswald ansiedeln kann.
Die Obere Jagdbehörde des Regierungspräsidiums (RP) Kassel und HessenForst nehmen die anhaltenden Nachfragen und Bedenken aus der Region sehr ernst. In einer gemeinsamen Pressemitteilung beantworten sie daher die wichtigsten Fragen rund um das entwichene Damwild, dessen rechtlichen Status und die daraus resultierenden Folgen. Ziel ist es, mit Fakten und Hintergrundinformationen Transparenz zu schaffen.
Im Anschluss finden Sie ein FAQ, das die wichtigsten Fragen zum Thema umfassend beantwortet:
1. Was ist Damwild und was unterscheidet es von anderem Wild?
Das Damwild (Dama dama, Familie der Hirsche – Cervidae) ist eine mittelgroße Hirschart. Bereits die Römer verbreiteten das ursprünglich in Kleinasien und im östlichen Mittelmeerraum beheimatete Damwild in andere Regionen. Im Mittelalter gelangte es über Dänemark („Dänenwild“) nach Mitteleuropa und Großbritannien. In Deutschland trafen die ersten „Dänentiere“ vermutlich im Jahr 1577 als Geschenk des dänischen Königs an Landgraf Wilhelm IV. von Kurhessen ein.
Heute zählt das Damwild zu den weltweit am weitesten verbreiteten Hirscharten. Die Bestände in Mitteleuropa gehen auf gezielte Aussetzungen sowie auf Tiere zurück, die aus Wildgehegen entkommen sind.
Damwild spielt heute eine bedeutende Rolle in der Erzeugung schmackhaften Wildfleisches und wird daher häufig in landwirtschaftlichen Wildgehegen gehalten.
Lebensraum:
Damwild bevorzugt Laub- und Mischwälder mit Freiflächen und Lichtungen, die dem Wild gleichzeitig genügend Möglichkeiten bieten, um sich zu verbergen. Es ist sehr anpassungsfähig und besiedelt unterschiedliche, vor allem lichte Waldlebensräume.
Nahrung:
Das Damwild ist ein Pflanzenfresser. Es ernährt sich hauptsächlich von Gräsern und Kräutern, frisst aber auch Knospen, Bucheckern, Eicheln und Wurzelknollen. Als Wiederkäuer kann es schwer verdauliches und nährstoffarmes Raufutter wie Heu und Gras durch erneutes Zerkauen der anverdauten Nahrung verwerten. In Zeiten eingeschränkten Nahrungsangebots wird auch Baumrinde abgeschält.
Lebensweise:
Das Damwild ist tag-, dämmerungs- und nachtaktiv. Es lebt gesellig in Rudeln; ausgewachsene Hirsche können jedoch auch Einzelgänger sein.
Körperliche Kennzeichen:
Das Damwild ist deutlich kleiner als das Rotwild. Es besitzt lange Läufe, einen langen Schwanz mit schwarzer Spitze sowie ein weißes Hinterteil mit schwarzer Umrandung.
Charakteristisch ist die weiße Fleckung des Felles, die bei erwachsenen Tieren besonders im Sommer deutlich zu erkennen ist. Es kommen zahlreiche Farbschläge vor – von nahezu weiß über rotbraun und silbergrau bis hin zu fast schwarz.
Im Sommer ist das Fell rotbraun mit einem schwarzen Rückenstrich und weißen Flecken, während es nach dem Fellwechsel im Winter graubraun erscheint.
Kennzeichnend für die männlichen Tiere (Damhirsche) ist das Schaufelgeweih, das sie deutlich von den Rothirschen unterscheidet.
Typisch für das Damwild sind außerdem die Hüpfsprünge mit gerade gestrecktem Schwanz, die es bei der Flucht zeigt.
2. Wo kommt das Damwild aus dem Reinhardswald her?
Nach dem Starkregen im August 2024 entwichen aus einem beschädigten Wildgatter bei Gottsbüren etwa 11 bis 13 Stück Damwild in den angrenzenden Wald. Es ist davon auszugehen, dass sich die Tiere inzwischen fortgepflanzt haben. Es handelt sich dabei um einen nicht heimischen („autochthonen“) Bestand, der also nicht ursprünglich in dieser Region vorkommt.
Derzeit werden einzelne Tiere in mehreren Revieren des Forstamtes Reinhardshagen sporadisch gesichtet.
3. Warum darf sich das entwichene Damwild nicht dauerhaft ansiedeln?
Im Reinhardswald kam bislang kein Damwild vor – es ist dort nicht heimisch. Der Gesetzgeber hat sich hierzu eindeutig positioniert: Die Ansiedelung von Damwild außerhalb von bereits ausgewiesenen Damwildgebieten ist nicht erlaubt. Die Reinhardswaldregion gilt als damwildfreies Gebiet (zur Rechtslage s. auch ausführlich Frage 5).
Daher besteht per Gesetz eine Freigabe zum Abschuss von jeweils zwei Tieren beiderlei Geschlechts pro Jagdbezirk während der Jagdzeit (sogenannte 2+2-Regel).
Zudem bietet jeder Lebensraum nur begrenzte Ressourcen in Form von Nahrung und den notwendigen Verstecken. Wenn das Nahrungsangebot nicht ausreicht, magert das Wild ab und wird anfälliger für Krankheiten. Im Reinhardswald leben bereits Rotwild, Schwarzwild und Rehwild. Vor allem zum Rotwild steht das Damwild in Konkurrenz, da beide ähnliche Ansprüche an den Lebensraum haben.
Darüber hinaus ist das Damwild im Reinhardswald isoliert, da keine Verbindung zu anderen Damwildpopulationen in Hessen besteht. Dies könnte zu genetischer Verarmung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Für eine langfristig gesunde Population werden in wissenschaftlichen Fachpublikationen etwa 500 reproduzierende Tiere als Mindestbestand genannt – Tiere, die nicht am Fortpflanzungsgeschehen teilnehmen, kommen noch hinzu.
Seit den trockenen Jahren ab 2018 sind zudem viele Waldbestände großflächig abgestorben und müssen nun wieder aufgeforstet und zu klimaresilienten Mischwäldern umgebaut werden. Im Reinhardswald betrifft dies eine Fläche von rund 6.000 Hektar. Diese Flächen müssen in den kommenden Jahren durch Pflanzung und Naturverjüngung wiederbewaldet werden. In bestehenden Beständen soll der Anteil von Mischbaumarten in der Verjüngung erhöht werden.
Das Halten angepasster Wildbestände ist daher in den nächsten Jahren entscheidend für das Gelingen des Waldumbaus hin zu einem klimaresilienten Mischwald. Durch die aufwachsende Vegetation auf den Schadflächen, die zunehmende Deckung und das wachsende Äsungsangebot wird die Bejagung jedoch erheblich erschwert. Dadurch wird es immer schwieriger, die bestehenden Wildbestände auf einem waldverträglichen Niveau zu halten.
Die Ansiedlung einer weiteren, vegetationsverbeißenden Wildart würde vor diesem Hintergrund die Bemühungen zur Wiederbewaldung und zur zukunftsorientierten Waldentwicklung konterkarieren.
4. Ist Biodiversität in den Wäldern nicht eine gute Sache?
Biodiversität bezeichnet die Vielfalt des Lebens und umfasst die unterschiedlichen Varianten und Kombinationen aller lebenden Organismen, Pflanzen und Tiere. Sie bezieht sich somit nicht nur auf das Vorkommen verschiedener Wildarten, sondern auch auf die Vielfalt der Pflanzenwelt und deren Zusammenspiel mit der Tierwelt in einem ökologischen System.
Viele Wildarten – darunter auch das Damwild sowie das im Reinhardswald bereits vorkommende Reh- und Rotwild – verbeißen neben der krautigen Waldvegetation auch Knospen von Bäumen oder schälen deren Rinde. Wildwiederkäuer bevorzugen in der Regel besonders diejenigen Baumarten, die für den Aufbau klimastabiler Wälder von großer Bedeutung sind. Durch Verbiss kann es daher zu einer Entmischung der Baumarten kommen. Das Schälen der Rinde schafft zudem Eintrittspforten für Fäulnispilze, welche die Holzqualität mindern und zum Absterben der Bäume führen können.
Für den Aufbau klimaangepasster Wälder ist jedoch eine hohe Baumartenvielfalt erforderlich. Ein „Mehr“ an Biodiversität im Sinne einer höheren Anzahl an Wildarten oder Individuen unter den wiederkäuenden Schalenwildarten kann somit zu einem „Weniger“ an Biodiversität in der Pflanzenwelt führen – und steht damit dem Ziel artenreicher, stabiler und klimaresilienter Wälder entgegen.
5. Wie ist die Rechtslage?
Eine (Neu-)Ansiedelung von Hochwild – wozu auch das Damwild gehört – wird vom Gesetzgeber abgelehnt. Dies ist in § 26b Absatz 4 des Hessischen Jagdgesetzes (HJagdG) sowie in Ziffer 2 der Richtlinie für die Hege und Bejagung des Schalenwildes in Hessen vom 20.02.2025 (in der Fassung vom 11.03.2025) geregelt.
Die hessischen Hochwildgebiete wurden seinerzeit auf Grundlage geeigneter Lebensräume für die jeweiligen Hochwildarten und unter Abwägung land- und forstwirtschaftlicher Erfordernisse ausgewiesen. Da in Hessen nachträglich keine weiteren Hochwildgebiete mehr festgelegt werden sollten, wurden im Hessischen Jagdgesetz von 1994 sämtliche Regelungen über Gebietsausweisungen gestrichen.
Die Beschränkung des Hochwilds auf die ausgewiesenen Gebiete verfolgt das Ziel, einen den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten, artenreichen und gesunden Wildbestand zu erhalten – unter Berücksichtigung der durch ordnungsgemäße land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung gesetzten Grenzen. Auch das Hessische Waldgesetz definiert dazu als Kennzeichen ordnungsgemäßer Forstwirtschaft: „das Hinwirken auf Wilddichten, die den Waldbeständen und ihrer Verjüngung angepasst sind, sowie Maßnahmen der Wildschadensverhütung.“ (§ 4 Absatz 2 Nr. 11 Hessisches Waldgesetz).
§ 26b Absatz 4 HJagdG sieht daher bereits einen gesetzlich festgelegten Abschuss unter anderem für Damwild vor, wenn es außerhalb der ausgewiesenen Damwildgebiete auftritt.
Abschüsse über diese gesetzliche Freigabe hinaus sind gemäß § 26b Absatz 4 Satz 4 HJagdG bei der zuständigen (Unteren) Jagdbehörde zu beantragen und unverzüglich zu genehmigen. Der Gesetzestext lässt hierbei praktisch keinen Ermessensspielraum. Jagdausübungsberechtigte sind somit gesetzlich verpflichtet, einen Abschuss über die Grundfreigabe hinaus zu beantragen; die Genehmigung hat durch die Behörde unverzüglich zu erfolgen. Diese Freigabe wurde für die staatlichen Eigenjagdbezirke im Forstamt Reinhardshagen beantragt und genehmigt.
Für alle angrenzenden Jagdbezirke, in denen Damwild vorkommen könnte, gilt zunächst die gesetzlich festgesetzte Abschussregelung gemäß § 26b Absatz 4 Satz 2 des Hessischen Jagdgesetzes (HJagdG).
Diese sogenannte „2+2-Regelung“ sieht den Abschuss von jeweils zwei männlichen und zwei weiblichen Stücken der betreffenden Hochwildart vor. Bei dieser Regelung handelt es sich nicht um eine bloße Erlaubnis, sondern ebenfalls um einen verbindlich festgesetzten Abschuss, der nach § 21 Absatz 2 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) und § 26 Abs. 1 des Hessischen Jagdgesetzes zu erfüllen ist.
Eine gesonderte behördliche Anordnung, die Tiere zu erlegen, ist nicht erforderlich, da die Verpflichtung zur Durchführung des gesetzlich festgesetzten Abschusses unmittelbar aus dem Gesetz selbst folgt. Jagdausübungsberechtigte und Jagdbehörden sind gleichermaßen gehalten, im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten sicherzustellen, dass die Ausbreitung von Hochwild – im vorliegenden Fall des Damwildes – außerhalb der dafür ausgewiesenen Hochwildgebiete verhindert wird.
6. Wären nicht zunächst eine Untersuchung und ein Gutachten sinnvoll, wie von einigen vorgeschlagen?
Dem Wunsch der Jägerschaft, das aus dem Gehege entwichene Damwild langfristig als Population im Reinhardswald zu etablieren, stehen die rechtlichen Regelungen entgegen, die die Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktionen des Waldes sicherstellen sollen. Eine Aussetzung der Bejagung, um ein Gutachten zu erstellen, ist für Wildarten mit regulärer Jagdzeit vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Darüber hinaus könnte eine Jagdruhe im weitläufigen und zunehmend schwerer zu bejagenden Reinhardswald Simulationen zufolge innerhalb von drei Jahren zu einem Populationsanstieg bis um das Vierfache führen. Bis zum Abschluss eines möglichen Gutachtens könnten die Damwildbestände demzufolge so stark anwachsen, dass bis zu einer eventuellen späteren Entnahme bereits erhebliche, nicht tolerierbare Waldschäden eingetreten wären. Eine Bestandsentnahme zu einem späteren Zeitpunkt wäre dann deutlich schwieriger und würde sich über Jahre hinziehen. Jährlich werden forstliche Gutachten zu Verbiss- und Schälschäden im Wald erstellt – so auch im Reinhardswald. In den Revieren des Forstamtes Reinhardshagen lagen diese bislang in einem tolerierbaren Bereich, was zeigt, dass Wild und Wald derzeit in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen. Diese Balance könnte jedoch durch das Auftreten einer weiteren Hochwildart gefährdet werden.
7. Was ist die Rolle von HessenForst?
HessenForst ist als Eigentümer der staatlichen Eigenjagdbezirke auf diesen Flächen auch jagdausübungsberechtigt, soweit sie nicht verpachtet sind. Mit der Beantragung einer Freigabe, die über die gesetzliche 2+2-Regelung hinausgeht, erfüllt HessenForst seine Verpflichtung gemäß § 26b Absatz 4 des Hessischen Jagdgesetzes (HJagdG), das Damwild an einer Ausbreitung zu hindern.
8. Was ist die Rolle der UJB (Untere Jagdbehörde)?
Die Aufgaben der Unteren Jagdbehörde werden in den Landkreisen vom Kreisausschuss und in den kreisfreien Städten vom Magistrat als Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahrgenommen. Nach § 39 Absatz 1 Satz 1 HJagdG ist die Untere Jagdbehörde die zuständige Behörde für die Abschussfreigabe. Auch sie ist an die Regelungen des HJagdG – insbesondere auch an § 26b – gebunden.
9. Was ist die Rolle der OJB (Obere Jagdbehörde)?
Obere Jagdbehörde ist das Regierungspräsidium Kassel (§ 38 Absatz 2 HJagdG). Die Obere Jagdbehörde ist zuständig für die Fachaufsicht und damit auch für die Erteilung von Weisungen an die Unteren Jagdbehörden. Im vorliegenden Fall war die Obere Jagdbehörde beratend für die Untere Jagdbehörde tätig.
10. Was sind die Pflichten der Jägerinnen und Jäger?
Jägerinnen und Jäger unterliegen grundsätzlich der Hegeverpflichtung (§ 1 BJagdG). Hege bedeutet den Schutz, die Erhaltung und gegebenenfalls die Verbesserung der natürlichen Lebensgrundlagen des Wildes sowie die Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen angepassten, artenreichen und gesunden Wildbestandes.
Die Hege muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung – insbesondere Wildschäden – möglichst vermieden werden (§ 1 Absatz 2 BJagdG, § 2 Absatz 2 HJagdG).
Im Fall des Reinhardswaldes ergibt sich daraus insbesondere die Verpflichtung, das Damwild (wie auch anderes Hochwild) außerhalb der dafür ausgewiesenen Hochwildgebiete an der Ausbreitung zu hindern.
11. Welche Schritte haben die Behörden unternommen (und welche nicht)?
Nachdem das Forstamt Reinhardshagen den Antrag auf Freigabe des vorkommenden Damwildes gestellt hatte, wurde in einem gemeinsamen Ortstermin mit der Oberen und der Unteren Jagdbehörde zunächst die Notwendigkeit des Abschusses geprüft.
Die beantragte Freigabe wurde daraufhin von der Unteren Jagdbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die staatlichen Eigenjagdbezirke des Forstamtes Reinhardshagen erteilt – unter Beachtung der Jagdzeiten und des Elterntierschutzes.
Für angrenzende Jagdbezirke wurde kein Antrag gestellt; hier gilt daher die gesetzliche Freigabe nach § 26b Absatz 4 HJagdG. Eine ausdrückliche Abschussanordnung wurde nicht erteilt, weder durch die Untere Jagdbehörde noch durch das Regierungspräsidium Kassel. Solche Anordnungen erfolgen in der Regel nur dann, wenn die durch Wild verursachten Schäden so massiv sind, dass praktisch notstandsähnliche Verhältnisse bestehen oder wenn ein Abschussplan nicht erfüllt wird und dadurch erhebliche Schäden entstehen.
Beides ist derzeit nicht der Fall. Ein förmlicher Antrag, eine Jagdruhe für das Damwild festzusetzen, lag der Oberen Jagdbehörde nicht vor und konnte insoweit nicht beschieden werden. Auch zuständigkeitshalber läge eine solche Entscheidung nicht bei der Oberen, sondern bei der Obersten Jagdbehörde im Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt, Weinbau, Forsten, Jagd und Heimat.